1970 wurde das Wahlalter in der Bundesrepublik Deutschland auf 18 Jahre herabgesetzt. Ein Schritt, den heute fast niemand mehr kritisiert oder für falsch hält. 52 Jahre später hat man sich nämlich an ein jüngeres Wahlalter gewöhnt, vergessen, dass es mal höher war oder gesehen, wie es sich bewährt hat.
Vor einem Jahr habe ich einen viralen Tweet geschrieben, in dem ich das Wahlalter ab 16 fordere. Im laufe der Zeit habe ich hunderte Anfeindende und beleidigende Kommentare erhalten. Doch ich bin immer noch für das Wahlalter 16. Eine Zusammenfassung:
Jugendliche tragen Verantwortung für ihr Handeln:
Eines der ganz großen Argumente, die immer wieder genannt werden, wenn es darum geht, das Wahlalter ab 18 Jahren zu bewahren, ist die – angeblich – fehlende Verantwortung. Jungen Menschen könne man keine derartige Verantwortung zugestehen, weil sie für ihr Handeln nicht verantwortlich seien. Einige Beispiele dieses Argumentes unter einem meiner Tweets hier, hier und hier. Aber das stimmt nicht. Mal ganz abgesehen davon, dass junge Menschen ab dem vierzehnten Lebensjahr für Straftaten und ähnlichem verurteilt und gesetzlich bestraft werden können, werden auch minderjährige für ihr Handeln zur Verantwortung gezogen: Beginnend bei Ordnungsmaßnahmen in der Schule wie Verweise oder Nachsitzen, über Erziehungsmaßnahmen durch Eltern oder anderen Erwachsenen bis hin zu Freiheitsstrafen, Sozialstunden, Strafzahlungen oder Einträge in das Führungszeugnis. Jugendliche müssen sich sehr wohl für ihre Taten verantworten.
Und warum sollte es nötig sein, sich für eine Wahlentscheidung verantworten zu können? Es ist schließlich eine Demokratie, in der wir leben. Hier kann Jede*r jede*n wählen, der*die die eigene Meinung vertritt, ohne Angst vor Repression haben zu müssen.
Jugendliche sind fähig eine komplexe Entscheidung zu treffen:
Es wird immer gesagt eine komplexe Entscheidung, wie zum Beispiel eine Wahl sei für Jugendliche und junge Menschen nicht angemessen. Sie seien nicht reif genug, eine fundierte Meinung zu bilden. Beispiele hier, hier und hier.
Junge Menschen werden immer kompetenter! Spannenderweise steigt der durchschnittliche IQ in Deutschland seit vielen Jahren konstant um etwa 0,3 Punkte pro Jahr. Junge Menschen werden auch immer früher dazu gebracht, Entscheidungen zu treffen in ihrem Umfeld. Vom Sozialkontakt über die Schule bis hin zum Auftritt auf SocialMedia: Junge Menschen stehen vor schwerwiegenden Entscheidungen über ihr eigenes Leben. Junge Menschen haben auch eine Meinung. Aber warum sollten sie diese rausposaunen – wie es andere Gruppen tun – wenn ihnen niemand zuhört, der Einfluss auf das aktive politische Geschehen hat?
Wer entscheidet ab welchem Alter man reif genug ist, um über die eigene Zukunft zu entscheiden?
Jugendliche kümmern sich um sich selbst:
Es wird auch immer gesagt, dass Jugendliche und junge Menschen noch nie einen Cent steuern gezahlt hätten oder eine Minute gearbeitet und somit kein Recht hätten mitzuentscheiden. Beispiele wie immer hier, hier und hier.
Auch diese Aussage ist purer Blödsinn. Beim ersten Mal einkaufen – meist im alter unter 10 – werden die ersten Steuern gezahlt. Steuern übrigens, die dem Staat viele hundert Milliarden im Jahr einbringen. Mit 12-16 hatten die meisten Jugendlichen schon einen Mini- oder Ferienjob, in dem sie gearbeitet und Abgaben gezahlt haben. Mit 16-18 starten mehr als ein Viertel der jungen Menschen eine Ausbildung oder beginnen ihr Studium in der nächstgrößeren Stadt. Menschen, die schon mal mit 360 Euro Bafög und einer Lehre, die kaum die Miete bezahlt, gelebt haben, wissen bestens was es heißt zu schuften und zu arbeiten. Besser als viele derer, die reich geboren sind und den ganzen Tag Zeit haben, Twitter Kommentare unter die Posts eines 16 Jährigen zu schreiben. Aktuell sind es übrigens 707.
Jugendliche sind unpolitisch, weil ihnen keine Verantwortung zugesprochen wird:
Aus geringer Macht folgt auch geringe Verantwortung, ist hierbei die Devise. Die junge Generation – auch unfassbar unangenehmer weise „Generation Z” genannt – ist unpolitischer als viele Menschen denken. Denn anders, als auf Twitter oder in Medien oft zu sehen, sind nicht ⅔ in ihrer regionalen Friday For Future Ortsgruppe oder einer Jugendorganisation aktiv, weil sie sehen, dass es eh keinen Unterschied macht. Aus meinen vielen Gesprächen mit Menschen aus meiner Generation weiß ich: die meisten jungen Menschen glauben nicht daran, dass Aktivismus etwas ändert in einem System, dass sie nicht als vollwertig anerkennt. Das äußert sich in einer Politik, die immer wieder von oben herab schaut und spricht oder in einem Wahlsystem, in dem eben jene, die am meisten von politischen Entscheidungen betroffen sein werden, nicht mitbestimmen können. Aktivismus und Demonstrieren ist ja ganz schön, denken sich sich, aber die Ü50er stimmen in der Mehrheit sowieso für die CDU/CSU ab.
Jugendliche entscheiden ähnlich, wie Menschen in den 20ern:
Viele werfen Jugendlichen vor, leichtfertig zu entscheiden und nicht über ihr Handeln nachzudenken. Es wird ihnen vorgeworfen, zu viel Zeit in Partys und zu wenig in Politik zu investieren. Aber sind ältere Menschen besser? Knapp 50% der Menschen wissen am Tag vor der Wahl noch nicht sicher, welche Partei sie letztendlich wählen werden. Wahlplakate werden aufgehängt, weil sie einen politischen Effekt haben, denn Menschen wählen oft nach Sympathie und Oberflächlichkeiten. All die Vorwürfe, die immer wieder an junge Menschen herangetragen werden, wenn es um ein Wahlalter 16 geht, treffen auch auf 20, 21,22,23,24… jährige zu.
Und wenn Menschen sagen junge Menschen würden ideologisch wählen und es später bereuen mag das so sein, aber in dieser Aussage schwingt auch Demokratiefeindlichkeit mit, denn wenn Menschen anderen das Wahlrecht entziehen, weil ihnen die Wahlentscheidung der anderen Person nicht passt ist der Schritt zu einer unfreien Wahl nicht mehr weit. Du magst nicht gut finden, dass jugendliche überwiegend liberal oder grün wählen. Dennoch illegitimiert das ihre Entscheidung nicht.
Und ich wäre auch für das Wahlalter 16, wenn die Mehrheit konservative oder rechte Parteien wählen würde, weil es mir nicht zusteht ihre Entscheidung zu beurteilen.
Es gibt kein – für mich nachvollziehbares – Argument, dass rechtfertigen kann, dass junge Menschen, die von Klimakrise, Inflation oder Diskriminierung betroffen sind kein Wahlrecht erhalten sollten. Der Staat hat kein Recht vollmündigen Bürger*innen das Wahlrecht zu enthalten, weder alt noch jung.
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